- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Sonntag, 31. Oktober 2010

KÜRZLICH GESEHEN...

Yasuzo Masumura (1957) 7,5/10

Zur damaligen Zeit galt dieser zahme und heute fast naiv unschuldig wirkende Film als Provokation, ein Ausbruch aus gesellschaftlichen und filmhandwerklichen Zwängen. Die Zeit ging nicht spurlos an diesem Werk vorbei, aber dennoch bleiben einige schöne Kameraeinstellungen und die Zärtlichkeit, die zaghafte Anziehung, der beiden jungen Liebenden im Herzen des heutigen Zuschauers haften.  Ein schöner Film.

NANJING! NANJING!
Lu Chuan (2009) 8,5/10

In schrecklich schönen Schwarz-Weiß-Bildern lässt Lu Chuan das größte Verbrechen der japanisch kaiserlichen Armee nachstellen, das Massaker des Jahreswechsels 1937/1938 in Nanjing. Ein Film der ihm weder in China, noch in Japan viele Freunde gemacht hat.  
Siehe hier meine ausführliche Rezension.

LOVE LETTER
Shunji Iwai (1995) 9/10

Manche Tipps, besonders die von schneesüchtigen Bloggern, erweisen sich als goldrichtig. So beschaffte ich mir die englisch untertitelte koreanische DVD dieses Films von Shunji Iwai. LOVE LETTER ist einer der Filme für die das Wort "Kitsch" erst erfunden worden scheint, ist also genau das, wovor es mir bis vor etwa 10 Jahren gegraust hätte. Doch nachdem ich meine Aversion gegenüber dem Gefühlskino Stück für Stück demontiert habe, hat sich das zum Glück geändert. Iwais Film ist ein in Schnee getauchter sentimentaler Traum, der trotz wunderschön gefilmter, in winterlicher Kälte erstarrter Landschaften und Straßen, eine wohlige menschliche Wärme ausstrahlt. Der Unfalltod eines jungen Mannes stürzt eine ganze Reihe von Menschen, seine Freunde und die Familie, in tiefe Trauer. Auch zwei Jahre danach kann die Verlobte den Verlust nicht verwinden. Nach einer an den Toten erinnernden Zeremonie besucht die junge Frau seine Mutter und findet in einem alten Jahrbuch die postalische Anschrift seiner Heimatstadt. Sie schreibt einen Brief an die Adresse, ohne dabei auf eine Reaktion zu hoffen. Doch vollkommen überraschend erhält sie Antwort von einer jungen Frau, die zufälliger Weise den selben Vor- und Nachnamen hat wie ihr Verlobter. Es stellt sich heraus, dass sie mit ihm sogar gemeinsam die Schule besucht hat. Ein reger Briefwechsel folgt, der allen Beteiligten hilft ihr erschüttertes Seelenleben neu zu ordnen. LOVE LETTERS ist ganz großes Gefühlskino, eine melancholische Winterreise ins Herz menschlicher Trauer. Zwar bleibt YENTOWN mein Lieblings-Iwai, ein im Vergleich zur glatt polierten Oberfläche dieses Filmes eher ungeschliffener Diamant, aber LOVE LETTERS folgt schon dicht dahinter.     

BELLADONNA
Eiichi Yamamoto (1973) 8/10

Jeanne, ein junges Bauernmädchen, wird in ihrer Hochzeitsnacht von ihrem Lehnsherren vergewaltigt. Körperlich und seelisch zerstört, entschlüpft ihr der Wunsch nach Vergeltung, ein kleiner Teufel der in gleicher Weise wächst, wie ihr Hass zu wuchern beginnt. Das Teufelchen lässt ihre Wünsche in Erfüllung gehen, doch am Ende kehren sich alle Wünsche gegen sie.
Nach einem Konzept von Osamu Tezuka schuf Yamamoto einen Klassiker des 1970er Animes, der auch heute noch wirkungsvoll bleibt. Die Animationen sind auf das notwendigste reduziert und der Film wird durch seine kunstvoll gemahlten Tableaus bestimmt, über die die Kamera wandert. Das Werk ist offensichtlich ein Kind seiner Zeit, was sich in der psychedelischen Bilderflut und der Musik manifestiert. Auch die feministisch politische Schlussbotschaft des Films wirkt aufgesetzt und aus heutiger Sicht geradezu an den Haaren herbeigezogen. Dennoch beeindruckt der Film durch seine kühne visuelle Kraft, seine hemmungslose Sexualität, die in ihrer grellen Ornamentik bei den Machern LSD Konsum vermuten lässt.

THE COVE – Die Bucht
Ric O’Berry/Louie Psihoyos (2008) 7/10

THE COVE gewann 2009 den Oscar als Bester Dokumentarfilm. Ganz in der Tradition amerikanischer „Doku-Propaganda“ wie BOWLING FOR COLUMBINE oder FAHRENHEIT 9/11 pfeift THE COVE auf einen objektiven Standpunkt und ergreift ganz offen Partei für das von ihm verfolgte Ziel. Mag der ehemalige Flippertrainers O’Berry auch noch so ehrenwerte Absichten verfolgen  und der Schutz der Delfine ist dies ganz sicherlich, verspüre ich bei derart hemmungslos vorgetragener Polemik ein gewisses Unwohlsein in der Magengegend. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich das dargestellte Delfinabschlachten in einer japanischen Meeresbucht, nicht als unsinnige Tierquälerei verurteilen würde. Genauso wie ich Massentierhaltung und Legebatterien ablehne. Aber die emotionale Manipulation dieser Doku beleidigt einfach meinen aufgeklärten Verstand, denn ich lasse mich nicht gerne derart plump manipulieren. Rein formal ist THE COVE aber natürlich eine wirklich gekonnt auf der Klaviatur menschlichen Mitleids spielende Polemik, allein dafür hat die Dokumentation eine hohe Wertung verdient.    

KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL
Laslo Benedek (1955) 8/10

Eine Gruppe von Müttern folgt ihren indoktrinierten minderjährigen Söhnen 1945 an die rasch näher rückende Ostfront, um sie vor dem Heldentod zu bewahren. Die Söhne denken jedoch gar nicht daran freiwillig ihre Uniformen abzulegen, sie wollen Kämpfen, bis zum Endsieg. Dieser Klassiker des deutschen Antikriegsfilmes entstand gut 4 Jahre vor dem berühmteren DIE BRÜCKE und wurde mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Zahlreiche bekannte deutsche Darsteller wirkten mit, unter anderem Bernhard Wicki, Maximilian Schell und Klaus Kinski. Besonders die wenigen gemeinsamen Szenen Maximilian Schells und von Kinski sind ein Höhepunkt des Films. Ein desillusionierter Soldat (Schell) hat keine Lust mehr zu kämpfen und streift seine Uniform ab. Der fanatische junge Offizier (Kinski) lässt den Deserteur per Standgericht erschießen. Werner Herzog nannte in seiner Doku MEIN GELIEBTER FEIND Kinskis beeindruckenden Auftritt, den er durch zwei Ausschnitte belegt, eine wichtige Inspirationsquelle für seinen künstlerischen Lebensweg.

PROFOUND DESIRES OF THE GODS
Shohei Imamura (1968) 8/10

Ein bei Imamura immer wieder kehrendes Thema sind abgeschlossene Gemeinschaften von Menschen, z.B. das kleine Dorf in NARAYAMA oder die abgeschiedene Insel Kurage in PROFOUND DESIRES OF THE GODS.  Die weit im Süden Japans gelegene Insel wird von einer kleinen Dorfgemeinschaft bewohnt, die durch die über Generationen andauernde Isolation unter den Folgen der Inzucht zu leiden hat. Ihr Leben wird durch den Glauben an ihre Götter und archaische Traditionen geprägt. Als die Moderne, verkörpert durch einen Ingenieur, in ihre abgeschlossene Welt hereinbricht, beginnt  ihre Gemeinschaft rasch zu zerfallen. Die zahlreichen Großaufnahmen wilder Inseltiere, von Fischen, Eulen und Schlangen, verweisen stilistisch schon auf Imamuras zukünftiges Meisterwerk NARAYAMA, nur das dort die Handlung durch die alte Legende einen stringenteren Verlauf nimmt.  Man könnte PROFOUND DESIRES also durchaus als eine Fingerübung für NARAYAMA bezeichnen. Dennoch hat der Film in seiner tropischen Opulenz, seiner sexuell verrotteten Hitze, eine ganz eigenständige Qualität. Mein persönlicher Höhepunkt des Films sind aber die Auftritte des Inselbarden, der mit angeklebter Hakennase seine uralten Weisen zum Besten gibt.

6 Kommentare:

  1. Ist der Anfang von KISSES nicht wunderbar, die Szenen im Gefängnis?! Und wie die Gitterstäbe die Schatten vorauswerfen auf den ganzen Film, auf die Welt, in der sich die Protagonisten freistrampeln müssen! Auch bezüglich der Alterungserscheinungen bin ich sehr mit dir einverstanden, die man als Japanophiler selbstredend als Anstoß zur Beschäftigung mit der Filmgeschichte verstehen darf.

    Außerdem freut mich, dass dir LOVE LETTER gefallen hat.Die anderen Filme kenne ich (noch) nicht, selbst den Imamura habe ich noch nicht gesehen.

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  2. @Love Letter
    *Schnief* - Mein Taschentuch ist immer noch nicht ganz trocken...
    (Danke noch mal für den Tipp!) ;-)

    Von dem Imamura gibt es übrigens eine empfehlenswerte Blu-Ray von EUREKA!, die mit einem (für einen Film diesen Alters) fantastischen Bildtransfer glänzen kann.

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  3. Frage: Habe bis jetzt nur "All about Lily Chou-Chou" gesehen vom Shunji Iwai. Sind seine anderen Filme denn ähnlicher Machart?

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  4. Ja und Nein.

    LOVE LETTERS ist stilistisch konventioneller und mainstreamiger als LILY CHOU CHOU geraten, einfach perfekt gemachtes Gefühlskino sentimental japanischer Prägung.

    YENTOWN hingegen ist eine weitaus wildere Mischung, stilistisch roher, aber zugleich auch visuell aufregender, unerwarteter als die beiden anderen Filme die ich von Iwai kenne. In meinen Augen ein ungeschliffener Edelstein, der es schafft ätzende Kapitalismuskritik mit Drama-, Komödien- und Romance-Elementen zu verknüpfen. Das gelingt zwar nicht ohne Reibungsverluste, ergibt aber unter dem Strich ein ungemein vitales ungezügeltes Gesamtkunstwerk.

    Dennoch ist allen drei Filmen die gefühlsbetonte Bildsprache Iwais gemeinsam.

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  5. Ein Abschnitt aus Deinem obigem Text lässt mich aufhorchen:
    "LOVE LETTER ist einer der Filme für die das Wort "Kitsch" erst erfunden worden scheint, ist also genau das, wovor es mir bis vor etwa 10 Jahren gegraust hätte. Doch nachdem ich meine Aversion gegenüber dem Gefühlskino Stück für Stück demontiert habe, hat sich das zum Glück geändert."
    Dazu eine Frage - die aber vielleicht allzu persönlich ist und in diesem Fall einfach übergangen werden soll:
    Wie kam es zu der "Demontage" dieser Aversion, was steht dahinter? Demontage klingt nach einem willentlichen (Kraft-)Akt.

    Mich interessiert dies deshalb, weil ich nie wirklich verstanden habe, weshalb Gefühle im Kino "ungehörig" sein sollen. "Jede Träne gibt Abzug" hat einmal ein mir bekannter Filmkritiker geäussert, worauf die umstehenden Kollegen beipflichtend nickten. Für mich gehören Gefühle zum Kino dazu, Kino darf Gefühle evozieren, warum denn nicht?
    Diese seien nicht echt, das Gefühlskino sei manipulativ, antwortete der eben zitierte Kritiker. Was ist denn im Film echt? Gar nix! Alles nur Kulisse, special effects, Schauspiel.
    Gegen das Wecken negativer Gefühle wie Angst, Wut, Aerger sagt schliesslich auch keiner was. Ist das denn nicht manipulativ?

    Das Thema beschäftigt mich immer wieder - deshalb meine Fragen.
    Und gerade wenn man sich mit Stummfilmen beshäftigt, ist man mit viel ungebremsteren Gefühlsäusserungen und -erregungen konfrontiert als man sie im heutigen Kino findet. Damals ging man noch unverkrampfter zu Werke.

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  6. Nun, in meiner abgefuckten Arroganz glaubte ich mich über alle Rührseligkeit und jedweden Gefühlsschmalz erhaben. Ich hielt mich einfach für zu "cool", als dass ich "kitschiges" Gefühlskino durch meinen intellektuellen Panzer an mich herankommen lassen wollte. Besonders das bewusst theatralische Trändendrücken (z.B. durch schleimige Musik) empfand ich verächtlich als manipulativ und überflüssig.

    In meiner Kindheit war dies noch anders und ich verschlang gemeinsam mit meinen Schwestern solche Schmalzgranaten wie SISSI oder DIE DORNENVÖGEL.

    Aber dann folgten die abgründigen Jahre der Pubertät, in denen ich mir zum Schutz vor Verletzungen einen Gefühlspanzer zulegte. Sich dieser verkopften Verkrampfungen bewusst zu werden und diese dann zu überwinden, ist tatsächlich ein willentlicher Akt. Aber ich denke, dass ich hier (auch dem Asia-Kino sei dank) in meinen Bemühungen schon ziemlich weit fortgeschritten bin. Aber ich bestehe weiterhin darauf, dass ich zumindest durch qualitativ hochwertigen Kitsch (oder was ich dafür halte) berührt werde. Deutsches TV-Film-Niveau reicht da bei weitem nicht!

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