- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Samstag, 27. März 2010

Paprika - ein visueller Rausch (8,5/10)


Rosa Elefanten und weiße Krokodile

Satoshi Kon wird mittlerweile als einer der Großmeister des japanischen Anime anerkannt. Der schizophrene Psychothriller "Perfect Blue", die innovative Liebeserklärung an das Jahrhundert des japanischen Kinos "Millennium Actress", das liebevolle Großstadtmärchen "Tokyo Godfathers" und zuletzt die herrlich surreale Animeserie "Paranoia Agent", sind die Meilensteine seines Schaffens. Bis jetzt hat er mich mit jedem seiner Werke überzeugt, so war ich auch mehr als zuversichtlich, dass Satoshi Kons jüngster Streich meine Erwartungen erfüllen kann. Und richtig, auch dieses Mal wurde ich nicht enttäuscht. Wieder einmal zeigt sich aber auch, dass die Stärke des japanischen Anime weniger auf der Handlungsebene sondern vor allem in seiner visuellen Strahlkraft und atmosphärischen Dichte zu finden ist.


Der "DC Mini", eine Traumlesemaschine, wird gestohlen. Die Entwickler versuchen herauszufinden wer hinter diesem Diebstahl steckt, doch schnell wächst ihnen der Fall über den Kopf. Ein Traumterrorist schleicht sich in das Bewusstsein einzelner Menschen und zwingt ihnen wahnhafte Traumbilder auf. Das virtuelle Ich der Wissenschaftlerin Chiba Atsuko - Paprika - eine Traumtherapeutin, setzt sich dem Täter auf die Fersen, doch schon bald wird die Jägerin zur gejagten.


"Paprika" setzt auf eine nicht wirklich originelle Grundidee und folgt ziemlich frei einer literarischen Vorlage von Yasutaka Tsutsui. Die Vorstellung der Manipulierbarkeit von Träumen wurde schon mehrfach in der Geschichte des Films behandelt (z.B. "The Cell", "Dreamscape"). Doch keines dieser Vorbilder erreicht die überschäumende Opulenz, die visuelle Prachtentfaltung von Kons "Paprika". Interessant zu erwähnen sind noch die (vermutlich ungewollten) oberflächlichen Parallelen zu einem japanischen Realfilm des Regisseurs Sion Sono, der ebenfalls mit einer Circusszene beginnt. "Strange Circus" führt aber in weitaus düsterere Gefilde als der dagegen familienfreundliche "Paprika".


Der Film entwickelt die surreale Vitalität von "Paranoia Agent" weiter ohne die lebendige Charakterzeichnung der Vorgängerfilme zu erreichen. Satoshi Kon scheint sich dieses Mal ganz seinem Spieltrieb hinzugeben und verliert sich in einem detailverliebten Rausch der Bilder.
Hatte "Millennium Actress", trotz seiner experimentellen Natur, noch eine runde Rahmenhandlung und voll entwickelte Charaktere vorzuweisen, bietet "Paprika" diese nur noch in rudimentärer Form. Der Film wirkt wie eine schwindelerregende Rutschpartie die den Zuschauer in surreale Traumlandschaften hineinschleudert. Die Realität wird zu einer beliebig verformbaren Leinwand auf der sich Paprika in ihrem Lichtertanz windet.
Was Satoshi Kon hier präsentiert ist ein vor Fantasie überschäumender magischer Veitstanz. Enthusiastisches Blendwerk in Vollendung.


Der Film funktioniert deshalb vor allem auf der visuellen Ebene und weniger durch die Stringenz seiner Handlung. Dem Plot fehlt letztlich die nötige Substanz, um für sich allein bestehen zu können. Die interessante Ansätze bietende Thematisierung der Traumanalyse z.B. verliert sich in oberflächlicher Küchenpsychologie. Einzelne wichtige Figuren, etwa der Vorstandsvorsitzende, bleiben in ihrer Motivation und Charakterzeichnung unterentwickelt. Je weiter der Film voranschreitet, desto mehr wuchert sich die Handlung aber selbst zu einem surrealen Traumgespinst aus, desto weniger ist sie überhaupt noch von Bedeutung. Und der Zuschauer schwelgt mit großen Augen in Satoshi Kons rauschhaften Traumszenerien.
Ein in seiner Wirkung nicht zu unterschätzendes Element des Films ist erneut die seltsam manische Musik von Hirasawa, die mit Kons Bilderbogen zu einem beunruhigenden Gesamtkunstwerk verschmilzt.


"Paprika" ist ein weiteres Animationsmeisterwerk von Satoshi Kon und reiht sich nahtlos in die Reihe seiner vorangegangenen Erfolge ein. Dem Film fehlen zwar eine wirklich überzeugende Handlungsentwicklung oder gar tiefgründige Charaktere, das macht der Film aber durch seine visuelle Opulenz mehr als wett. Paprika ist ein Filmrausch wie ihn so nur der japanische Anime auf die Leinwand zaubern konnte.


Titel: Paprika
Regie: Satoshi Kon
Entstehungsjahr: 2006
Länge: 87 Minuten
Blu-ray: Sony Pictures Home Entertainment
Ton: Deutsch, Japanisch, Englisch, ...
Untertitel: Deutsch, Englisch, ...

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