- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Freitag, 17. September 2010

RYOJU - Das Jagdgewehr


"Eine große Matrosenpfeife im Mund, 
läßt er Setter-Hunde vor sich her laufen,
stapft mit hohen Stiefeln über die Eiszapfen der Erde 
und steigt auf engem Pfad durch das Gestrüpp
hinauf zum Frühwinterlichen Amagi-Berg." 

Yasushi Inoue (1907-1991)

- Eine melancholische Miniatur -

DAS JAGDGEWEHR (1950) gehört zu den mich am tiefsten bewegenden Werken Inoue Yasushis. Nach meiner Überzeugung ein Muss in jeder gut geordneten Japan-Sektion heimischer Bücherregale. Hinter dem irreführenden Titel verbirgt sich eine kurze aber süße literarische Kostbarkeit, eine melancholische Liebesgeschichte, erzählt in drei Briefen aus drei verschiedenen Blickwinkeln. DAS JAGDGEWEHR ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Vertreter des japanischen Romans der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Nach der erzwungenen Beendung der kulturellen Isolation stürzte sich das japanische Bildungsbürgertum hungrig auf alles Westliche, ob in der Mode, der Musik, den bildenden Künsten oder der Literatur. In wenigen Jahrzehnten versuchten sie sich, fast in Zeitraffer, Jahrhunderte europäischer Kultur anzueignen. Viele westliche literarische Strömungen erreichten Japan so erst mit starker zeitlicher Verzögerung, weshalb sich dort der Briefroman ungebrochener Beliebtheit erfreute, als er in Europa schon lange wieder aus der Mode geraten war (siehe z.B. DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER, Johann Wolfgang von Goethe, 1774). Auffällig ist auch der von japanischen Autoren gerne verwendete Kniff des wiederholten Perspektivwechsels, das mehrmalige Erzählen ein und derselben Handlung aus verschiedenen Blickwinkeln. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist hierfür Akutagawas Erzählung IM GEBÜSCH (1922), eine der Vorlagen zu Kurosawas RASHOMON (1950).

Das in einer Jagdzeitschrift veröffentlichte Gedicht DAS JAGDGEWEHR veranlasst einen Leser, der sich in den wenigen Zeilen in seiner Einsamkeit treffend beschrieben glaubt, dem Autoren 3 Briefe zu senden, 3 Briefe die von einer verzweifelten Liebe berichten. 
Eine junge Frau entdeckt im Nachlass ihrer Mutter ein Tagebuch, das sie nach kurzem Zögern zu lesen beginnt. Völlig überraschend findet sie dort eine Jahrzehnte währende Affäre beschrieben. Dieser Schock lässt das idealisierte Bild der Mutter zerbrechen. In der Vorstellung der Tochter war sie, erst recht nach der Trennung vom Vater, stets eine keusch lebende Heilige, ein A-sexuelles Wesen. Sie ahnte nichts von der schon während der Ehe mit dem Vater beginnenden Liebesbeziehung, die auch nach der Scheidung im Schatten verborgen blieb, verborgen bleiben musste, denn der Liebhaber war ebenfalls verheiratet und wagte es nicht seine eigene emotional schwache Frau zu verlassen. Die Tragik der unerfüllbaren, da durch eigene und gesellschaftliche, emotionale und moralische Schranken geächteten Liebe, hinterlässt eine wohlige Trauer und der Leser bedauert, dass diese schmerzhaft zarte Köstlichkeit schon so schnell zu Ende ist.

Natürlich balanciert die Handlung auf einem schmalen Grat, ständig bedroht durch die Untiefen des Kitsches. Dass der Roman letztlich nicht abstürzt, liegt an der ausgefeilten Stilistik Inoues. Doch auch dies macht DAS JAGDGEWEHR zu einem in jeder Hinsicht japanischem Werk. Der Hang japanischer Kultur zu Sentimentalität, Rührseligkeit und Theatralik ist schließlich geradezu legendär. DAS JAGDGEWEHR wurde schon 1954, wie hier nachzulesen, auch ansprechend verfilmt.   

2 Kommentare:

  1. Hallo Marald,
    vielen Dank für diesen schönen Text - jetzt hast Du mir auf eine Relektüre ordentlich Lust gemacht.
    Auch einen Glückwunsch zum schön gestalteten Blog, sowie zur interessanten Filmauswahl.

    Beste Grüße, Micha

    PS: Und danke für die Erwähnung; ich finde es toll, wenn Blogs aufeinander reagieren, in Kommunikation stehen. Das ist für mich der Begriff von Inter-Net.

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  2. Ich hoffe ich finde die Energie diesen Blog ähnlich gut zu pflegen wie es einem gewissen (ich zitiere)"lazy ass" gelingt.

    Auf die Idee diese Buchvorstellung ins Netz zu stellen kam ich natürlich durch deinen boshaft kurzen Appetizer. Ich glaube man nennt sowas "geistige Befruchtung". Der menschliche Bienstock schwärmt fleißig über die giftig duftenden, in schrillen Farben erblühenden Internet-Wiesen (obwohl in mir mehr Willi als Maja steckt) und sammelt den süßen schweren Nektar des Geistes.

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