- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Freitag, 26. März 2010

TOD IM HOCHSOMMER

Szene aus YUKOKU (1966)

Mishima - Erzählungen - ein literarischer Querschnitt
"Tod im Hochsommer" ist eine Sammlung von kurzen Erzählungen Mishimas, die leider großteils aus dem Amerikanischen "zweitübersetzt" wurden. Der Erzählband ist dennoch ein idealer Einstieg in das literarische Universum "Mishima", bildet einen Mikrokosmos seines ganzen Schaffens. Alle wichtigen Themen Mishimas werden angeschnitten: kulturelle Entwurzelung, unglückliche Liebe, die Qual der Schönheit, Masochismus, Sadismus und Tod. Der amerikanische Übersetzer und Freund des Autors, Donald Keene, rundet den Band durch ein interessantes und sehr persönliches Nachwort zu Leben, Werk und Sterben Mishimas ab.
Zwei besonders gegensätzliche (auch einzeln publizierte) Erzählungen, der Kurzroman "Die Brandung" und die Kurzgeschichte "Patriotismus", sind in diesem Sammelband besonders hervorzuheben. Im Folgenden beschränke ich mich daher auf die Beschreibung dieser beiden Textbeispiele.

Die Brandung (japanisch: Shiosai)
Dieser Kurzroman erscheint wie ein klassisches Märchen. Auf einer kleinen japanischen Insel, deren Bewohner dem Meer in harter Arbeit den Lebensunterhalt abtrotzen, entfaltet sich eine archetypische Liebesgeschichte, angelehnt an antike Vorbilder wie Daphnis und Chloe. Der junge Fischer Shinji und die schöne Tochter des Leuchtturmwärters Hatsue verlieben sich ineinander. Doch ein böses aus Neid gestreutes Gerücht droht ihre unschuldige Liebe zu zerstören. Beiden werden zahlreiche Hindernisse und Prüfungen abverlangt, bis ihr gemeinsames Glück Erfüllung finden kann. Dabei bildet die mythologische Insel nur die farbige Folie vor der diese zeitlose Erzählung von der unmöglichen Liebe abläuft. Begünstigt durch seine klassizistische Universalität wurde diese zarte Liebesgeschichte zu einem der größten frühen Erfolge des Schriftstellers Mishima im Westen. Zwar ist auch in diesem Werk aus der ersten Schaffensperiode des Autors schon Mishimas ausgeprägter Hang zur Theatralik zu erkennen, der hier beinahe in den Kitsch abzugleiten droht, es fehlt aber die düstere Doppelbödigkeit und Tragik die so charakteristisch für die meisten seiner Romane werden sollte. Die poetische einfache Sprache verleiht der "Brandung" einen ganz eigenen Reiz, eine Klarheit und Stringenz die in den späteren Werken zugunsten einer höherer Komplexität (zuweilen bis hin zur symbolischen Überfrachtung) weichen musste. Der Leser atmet fast den Seetang, schmeckt die Früchte des Meeres, spürt das Seewasser salzig auf dem Körper trocknen.

Patriotismus (japanisch: Yukoku)
Im geradezu unerhörten Kontrast zu diesem luftig leichten und zugleich bittersüßen Kurzroman steht das nihilistische Werk "Patriotismus". "Patriotismus" erzählt die Geschichte eines jungen Offiziers der auf dem Höhepunkt des gescheiterten "Ni-niroku jiken" Aufstandes 1936 (ca. 1400 junge Offiziere versuchten die in ihren Augen zu liberale verwestlichte nationalkonservative Regierung zu stürzen) beschließt Seppuku zu begehen, um bei der Niederschlagung des Putsches nicht gegen die eigenen Kameraden kämpfen zu müssen. Seine Ehefrau will ihm in den Tod folgen. Nach einer letzten hitzigen Vereinigung vollführen sie gemeinsam das traditionelle blutige Ritual.
Diese Kurzgeschichte ist ein gähnender literarischer Abgrund, der einen schwindelerregenden Blick in Mishimas düsterste Obsessionen gewährt, seine wahnhafte Leidenschaft für den Akt des Seppuku. Sie gerinnt hier zu einem intimen und zugleich verstörend voyeuristischen Stück Literatur. Ekelerregend in seiner blutigen Fleischlichkeit, betörend in seiner schwarzen Romantik, erhaben in seinem klassischen Stoizismus. Einerseits verklärt Mishima das Seppuku als höchsten Ausdruck von Ehre und Pflichterfüllung, ästhetisiert es fast unerträglich, andererseits beschreibt er den Akt selbst auf äußerst plastische und drastische Art und Weise.
Für den modernen Mitteleuropäer (ebenso wie für heutige Japaner) ist der soldatische Ehrbegriff eines Offiziers der japanisch kaiserlichen Armee so unbegreiflich wie das Weltbild eines arabischen Selbstmordattentäters. Der Leser steht daher entweder angewidert ratlos oder von der bizarren düsteren Exotik fasziniert, vor dieser literarischen Selbstentleibung.
Der bekennende Sadomasochist Mishima verlor sich selbst immer mehr in der Anziehung dieses blutigen Rituals und umkreiste es künstlerisch wie von innerer Unruhe getrieben. Ob nun in seinem Roman "Unter dem Sturmgott", in dem narzisstischen Photoband "Barakei" oder in der Verfilmung der hier vorliegenden Kurzgeschichte "Yukoku"(1966),  in der er als Regisseur und Hauptdarsteller zugleich auftritt. Immer und immer wider stellte er den Akt nach, geradezu zwanghaft erscheint seine Obsession. Jahrelang trainierte er die Bauch- und Armmuskulatur, um das klassische Ritual korrekt durchführen zu können. In der Rückschau wirkt es daher letztlich nur konsequent, dass sein Leben in dieser drastischsten aller denkbaren Ausdrucksformen kulminierte. Ein theatralisch überzeichnetes Ende, eines theatralisch überzeichneten Lebens.

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