- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Montag, 13. September 2010

NINGEN SHIKKAKU - Am Leben gescheitert

DAZAI OSAMU (1909-1948)
Dazai Osamu wurde 1909 in Kanagi (Provinz Aomori) geboren. Als 10. Kind einer wohlhabenden Großfamilie litt er unter einer materiell gesicherten, aber lieblosen Erziehung. Schon früh plagten den musisch begabten Dazai depressive Verstimmungen und er flüchtete sich in düstere schwarzromantische Literatur. 1927 beging sein großes Vorbild, der Schriftsteller Akutagawa Ryūnosuke (bekannt durch seine Erzählung RASHOMON) Selbstmord, ein einschneidendes seinen weitere Lebensweg prägendes Ereignis. Schon ein Jahr später vollzog er den ersten von zahlreichen eigenen Suizidversuchen.

Auch mit dem ab Mitte der dreißiger Jahre einsetzenden literarischen Erfolg besserte sich seine Lebenssituation nicht nachhaltig. Zahlreiche unglückliche Liebschaften, eine gescheiterte Ehe und schwere Morphium-Sucht folgten. Erst in seiner zweiten Ehe schien er vorübergehend Halt zu finden. Wegen körperlicher Gebrechen wurde er zwar nicht zum Wehrdienst eingezogen, sein literarisches Schaffen geriet während des Weltkrieges aber dennoch in eine Krise. In der Nachkriegszeit wurde sein Schreibstil zunehmend düsterer und selbst reflektierter.
In diesen Jahren entstanden seine wichtigsten Werke, Shayō 1947 (DIE SINKENDE SONNE) und der kurz vor seinem Tod 1948 veröffentlichte Roman Ningen shikkaku (GEZEICHNET - wörtlich eher "als Mensch disqualifiziert").

GEZEICHNET ist ein typischer Vertreter der damals in Japan äußerst beliebten pseudobiographischen Ich-Romane (vergleiche Mishimas „Kamen no Kokuhaku“ - GESTÄNDNIS EINER MASKE 1949). Dazai rollt in ihm das "verpfuschte" Leben eines aus reichem Hause stammenden jungen Mannes auf. Die autobiographischen Züge der Hauptfigur werden hier überdeutlich. Der Roman beginnt mit einer menschlichen Bankrotterklärung: "Ich habe ein schändliches Leben geführt. Was menschlich leben heißt, weiß ich nicht." Schon als Kind hat der Ich-Erzähler im verzweifelten Versuch in einer japanischen Großfamilie Aufmerksamkeit zu erlangen, seine durch lieblose Erziehung bedingte Unfähigkeit Gefühle zu empfinden, hinter der Maske des Clown verborgen. Von da an führt er ein Leben in ständiger Verstellung, stets von der Angst besessen, dass seine Fassade, seine fröhliche Grimasse, durchschaut wird. Er geht als Student nach Tokio. Doch statt die Chance des Ausbruchs aus der Enge der Familie zu nutzen, lässt er sich in der Großstadt treiben, verfällt in ein dumpfes Phlegma, verliert sich in geistiger Leere. Die Tage mit Alkohol und Prostituierten verbringend, dämmert er so der Selbstsauslöschung entgegen.

Insgesamt ist dies äußerst destruktive Literatur, die man, um Depressionen zu vermeiden, nicht gerade an grauen Novembertagen lesen sollte. Der Roman strahlt aber dennoch eine bizarre nihilistische Faszination aus, der zumindest ich mich nicht entziehen konnte. Es verwundert nicht, dass der sich derart öffentlich entblößende Dazai noch im Jahr der Veröffentlichung den Freitod suchte. Nachdem seine Ehefrau 3 gemeinsame Kinder zur Welt gebracht hatte, verließ er 1948, schwer alkoholkrank, seine Familie, um seine letzten Lebensmonate gemeinsam mit einer jungen Kriegerwitwe zu verbringen. Er ertränkte sich mit seiner Geliebten am 13. Juni 1948 in einem Kanal in der Nähe der gemeinsamen Wohnung *. Ein Ereignis, das übrigens den jungen Yukio Mishima maßgeblich inspirieren sollte, der nun gleichfalls begann den Suizid als romantischen Akt der Selbstbefreiung zu verklären. Die melodramatische Todessehnsucht erwies sich einmal mehr als Seuche unter Japans Literaten.

*Randnotiz: Im tragikomischen Musical MEMORIES OF MATZUKO wird auf den Freitod Osamus direkt Bezug genommen, als sich die Filmheldin in dem Kanal zu ertränken versucht, in dem schon Dazai sein Ende fand. Mangels Hochwasser scheitert sie jedoch kläglich.

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