- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Sonntag, 14. November 2010

HADASHI NO GEN - Barfuss durch Hiroshima (10/10)


DAS PFERD BRENNT

Atomarer Holocaust 
– Hiroshima am 6. August 1945 -

Als ich das erste Mal BARFUSS DURCH HIROSHIMA las, musste ich mehr als einmal tief schlucken. Selten hatte mich die Lektüre eines Comics derart aufgewühlt. Erschüttert verfolgte ich die Geschichte des kleinen Gen, wie er verbissen um das Überleben von sich und seiner Familie kämpfte, betrauerte mit ihm den Verlust enger Angehöriger, erstarrte an seiner Seite im Angesichts des atomaren Feuers und seiner entsetzlich entstellten Opfer, kostete mit ihm die kleinen Triumphe des Alltages, die Erbeutung eines Sacks Kartoffeln, einer Schüssel Reis, erfreute mich an seinem ungebrochenen Lebensmut. Und dann, als der unmittelbare Schrecken des Krieges schon überwunden schien, mit dem tragischen Tod von Gens kleiner Schwester, musste ich (den Tränen nahe) erkennen wie sehr ich mich mittlerweile emotional diesen zweidimensional gezeichneten Figuren verbunden fühlte.

Keiji Nakazawa 

Der im März 1939 geborene Keiji Nakazawa war 6 Jahre alt, als am 6. August 1945 die Enola Gay, ein nach der Mutter eines der Piloten benannter B-29-Bomber, seine tödliche Fracht ablud und die atomare Hybris das Zentrum Hiroshimas auslöschte. Tausende Menschen, in gleißendes Licht getaucht,  zerfielen innerhalb weniger Sekunden zu Asche, Zehntausende starben in den nächsten Wochen an den Folgen von Brandwunden und Strahlenkrankheit. Nakazawas Vater, seine ältere Schwester und sein kleiner Bruder wurden unter den Trümmern ihres Hauses, 1,3 km vom Stadtzentrum entfernt, begraben und verbrannten im über den Trümmern hinwegfegenden Feuersturm. Nur seine hochschwangere Mutter überlebte wie durch ein Wunder. Keiji war gerade auf dem Weg zur Schule, als er im Schutz einer Mauer vom atomaren Feuer überrascht wurde, wodurch auch er nahezu unverletzt blieb. Seine in der Trümmerwüste der Stadt mit seiner Hilfe geborene kleine Schwester starb 1947 an den Folgen von Unterernährung und Strahlenkrankheit. Diese Urkatastrophe der Kindheit Nakuzawas überschattete sein weiteres Leben und bestimmte, spätestens nach dem Tod seiner 1966 an den Spätfolgen der Bombe verstorbenen Mutter, die Wahl seiner Themen als Mangaka.


Mit ORE WA MITA  (Ich sah es) veröffentlichte  Nakazawa 1972 seinen ersten autobiographischen Manga. Die positive Resonanz ermutigte ihn die Arbeit an seinem vierbändigen Meisterwerk BARFUSS DURCH HIROSHIMA zu beginnen, das schließlich ab 1973 erfolgreich in Fortsetzungen im Shōnen Jump Magazin abgedruckt wurde. Nakazawas Zeichenstil orientiert sich merklich an seinem großen Vorbild Osamu Tezuka. Durch den klaren einfachen schwarzweißen Strich seiner Zeichnungen, erreicht sein Augenzeugenbericht erst den nüchternen Rahmen, der das Grauen der Geschichte, das unfassbare Leid, fassbar und dennoch für den Leser überhaupt erträglich macht. Schon bald erschienen zahlreiche internationale Ausgaben (1982 in Deutschland), einer der ersten auch außerhalb Japans veröffentlichte Manga. Schon in den Siebziger Jahren gab es eine dreiteilige japanische Realverfilmung. 1983 und 1986 produzierte Keiji Nakazawa unter der Regie Mori Masakis und Toshio Hiratas nach der Vorlage seines Manga 2 Anime. Der Zeichenstil wich etwas von der Vorlage ab, strich fast alle Nebenhandlungen und reduzierte die Geschichte auf das Wesentliche und erreicht dadurch insgesamt nicht  ganz die erschütternde erzählerische Dichte des Comics. Das Ergebnis ist trotzdem eindrucksvoll und ein Höhepunkt des 80er Jahre Anime, ein humanistisches Werk, dass sich durchaus mit dem bekannteren DIE LETZTEN GLÜHWÜRMCHEN messen kann.


1945, der 6 jährige Gen lebt mit seiner Familie in Hiroshima. Das japanische Kaiserreich stemmt sich verzweifelt gegen die Niederlage und hält die kriegsmüde Bevölkerung durch die ewig gleiche pathosgeschwängerte Propaganda bei Laune. Sein Vater ist einer der wenigen die die abzusehende Niederlage Japans offen aussprechen und sich damit gegen das Militärregime stellen. Dadurch gerät die Familie Nakaoka immer wieder in Schwierigkeiten und muss sich gegen die Anfeindungen von Nachbarn und Behörden zur Wehr setzen. Doch mit Geschick und Einfallsreichtum, im engen Zusammenhalt ihrer Familie, schaffen es Gen und seine Geschwister die entbehrungsreiche Zeit zu überstehen. 
Als die Atombombe explodiert verbrennen Gens kleiner Bruder, seine Schwester und sein Vater in den Trümmern ihres Hauses. Gen überlebt wie durch ein Wunder gemeinsam mit seiner hochschwangeren Mutter das atomare Feuer. Im Chaos der brennenden Stadt hilft Gen seiner kleinen Schwester auf die Welt und gemeinsam versuchen sie verzweifelt zu überleben. Bei einer Jugendfreundin der Mutter kommen sie für eine Übergangszeit auf dem Land unter, doch die Bombenflüchtlinge sind nicht gern gesehen und ihre Gastfamilie vergrault sie schließlich unbarmherzig. Nach der Rückkehr der beiden älteren Brüder versuchen sie gemeinsam, aus den Trümmern Hiroshimas heraus, sich ein neues Zuhause zu schaffen. 
    

Besonders eindringlich gelingt Nakazawa in den Vier Bänden die Darstellung der Verrohung in Zeiten existenzialistischer Bedrohungen. Aber auch der ungebrochene Überlebenswille der Familie Nakaoka, aller Menschen, wird überdeutlich. Schon bevor Hiroshima vernichtet wird, hat der Krieg die Herzen der  Bewohner verschlossen, doch mit dem Abwurf der Atombombe und der anschließenden virulent um sich greifenden Paranoia, brechen sich die im menschlichen Wesen verankerten Egoismen umbarmherzig Bahn und jede Solidarität mit den Opfern der Bombe wird im Keim erstickt. Gen und seine Familie kämpfen, trotz aller grausamen Rückschläge, immer weiter, geben sich halt, selbst im Angesicht des unfassbarsten Grauens. Lediglich die rabiaten Erziehungsmethoden von Gens Vater und die in der Familie allgegenwärtige „liebevoll“ zelebrierte Gewalt, verstören etwas den im Zeitalter der gewaltlosen Erziehung aufgewachsenen Leser. Ständig prügeln sich die Brüder oder antworten auf Provokationen und Ungerechtigkeiten mit Faustschlägen. Ein Spiegelbild der kriegerischen menschenverachtenden Doktrin der Zeit.

BARFUSS DURCH HIROSHIMA ist eine Anklage gegen den Krieg, gegen die Verrohung des Menschen. Nakazawa verurteilt dabei nicht einseitig die Amerikaner, sondern greift  vielmehr den Militarismus, die unbarmherzige Logik des Krieges, die  menschliche Natur als ganzes an, die solchen lebensverachtenden Fanatismus erst möglich macht. Der Manga ist damit ein Hauptwerk des humanistischen Comics, allenfalls vergleichbar mit Art Spiegelmans MAUS, ein erschütterndes Zeugnis menschlichen Überlebenswillens.


Titel: HADASHI NO GEN - Barfuss durch Hiroshima 
Erscheinungsjahr: Japan 1973, Deutschland 1982/2004
Verlag: Shueisha
 
Deutsche Fassung:
Carlsen Verlag
Zeichner/Autor: Keiji Nakazawa
Länge: 4 Bände (ca. 1100 Seiten)

1 Kommentar:

  1. diese Bilder sind sehr gut gemacht
    wenn auch ein bisschen verrückt

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