- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Freitag, 26. März 2010

GOGO NO EIKO - Der Seemann, der die See verriet











Die verratene See sucht ihren Rächer 

- Von der Eifersucht eines Sohnes -

DER SEEMANN, DER DIE SEE VERRIET ist mein absolutes Lieblingsbuch unter den ins Deutsche übertragenen Werken Mishimas. Es gibt nur wenige Bücher die einen solch tiefen Eindruck hinterlassen konnten und mir ein solches Vergnügen beim Lesen bereiteten.
Die Wirkung eines Buches lässt sich oftmals nicht allein mit dessen schriftstellerischen Qualitäten begründen, sondern hängt auch eng mit der Lebenssituation zusammen, in der einem ein Werk in die Hände fällt. Eine bestimmte sensible Entwicklungsphase auf dem Weg zum Erwachsenwerden, ein Moment akuter Gefühlsverwirrung, Momente des Glücks oder tiefer Trauer. Es gibt nur wenige fast magische Augenblicke wo es einen Leser derart packt, dass er vor Leselust aufjuchzen will und dieser verräterische Seemann Mishimas konnte dieses kleine Wunder bei mir bewirken. Warum? Das kann ich selbst kaum mit rationalen Worten erklären. Dieses ist daher eines der wenigen Bücher bei denen ich zu keiner wirklich objektiven Bewertung fähig bin. Manch ein anderer Leser mag sich nach der Lektüre dieses Buches daher fragen: "Was soll hieran so großartig sein?" Trotz dem ich um die Unmöglichkeit des Versuches weiß, bemühe ich mich also um eine fundierte aber sicherlich rein subjektive Kritik.

DER SEEMANN, DER DIE SEE VERRIET war das erste Buch Mishimas, welches mir in die Hände viel. Ich hatte davor noch nie etwas von diesem theatralischen vor Begabung strotzenden Schrift- und Selbstdarsteller gehört. Zudem war es mein erstes Buch eines japanischen Autoren überhaupt. Doch schon nach wenigen Seiten hatte es mich gepackt.

Die junge attraktive Witwe Fusako lebt mit ihrem pubertierenden Sohn Noboru allein in einer kleinen Hafenstadt. Sie lernt einen Seemann, einen Offizier auf einem großen Handelsschiff kennen. Ganz überraschend verliebt sie sich in den Fremden und stürzt sich in die erste Beziehung nach dem Tod ihres Ehemannes. Der Sohn, der es bisher gewohnt war seine Mutter für sich allein zu haben, fühlt sich in seiner kleinen Welt bedroht, sieht in dem Eindringling einen Fremdkörper. Jedoch ist er gleichzeitig von der in seiner Vorstellung heroischen Figur des Seemanns fasziniert. Diese widerstrebenden Gefühle verwirren ihn, doch kann er sich schließlich dazu durchringen den Seemann als einen Gast auf Zeit zu akzeptieren, der über kurz oder lang wider in die Weite des Ozeans aufbrechen wird. Beruhigt schwelgte er in Heldenverehrung zu dem Offizier. Die Uniform blitzt und strahlt in prächtigem Weiß, das Sonnenlicht reflektiert auf den Messingknöpfen, funkelt wie das unendliche Wogen des Ozean.

Mishima erzählt in größter Raffinesse ein Drama rund um Eifersucht und enttäuschte Heldenverehrung. Eine schmerzliche Erfahrung die wir wohl alle (?!) irgendwann gemacht haben, die Erkenntnis, dass die eigenen Eltern oder die umschwärmten Idole der Jugend, nicht so unfehlbar sind wie wir immer dachten. Wenn das Monument des Helden zu Boden stürzt und zerspringt, schlägt blinde Verehrung schnell in Hass um.
Der Junge beschlisst den "Verrat" des Seemanns zu Rächen. Das Idealbild das er sich in seiner Fantasie von dem Seemann erschaffen hatte, muss wiedererstehen, unbedingt. Nur so kann er den Seemann vor dem eigenen Verrat schützen und das Ideal des Helden vor seinem Sturz in die Trivialität des Alltages bewahren.
Zumindest glaubt der Junge, dass dies der Grund für seinen Racheplan ist. Dabei ist es ziemlich offensichtlich, dass das Motiv seines Hasses ganz woanders zu finden und von weitaus profanerer Natur ist. Eifersucht, nichts als irrationale Eifersucht auf den Nebenbuhler. Sich den egoistischen Besitzanspruch auf seine Mutter einzugestehen, dazu ist der Junge jedoch nicht fähig. Stattdessen überträgt er allen Hass auf den gedanklich konstruierten "Verrat". Der Nebenbuhler muss verschwinden, so oder so.

Die Thematik des Verrats der Schönheit, das Hintergehen eines Ideals, ist ein häufig wiederkehrendes Motiv im Werk Mishimas. Am Eindrücklichsten ist ihm dies wohl in seinem Meisterwerk DER TEMPELBRAND gelungen. Der SEEMANN erreicht nicht ganz diese Vielschichtigkeit und Tiefe, wirkt aber dafür insgesamt straffer, konzentrierter und klarer strukturiert. Seinerzeit von der japanischen Kritik wenig beachtet gilt "Der Seemann, der die See verriet" mittlerweile als ein Hauptwerk des Autors, in dem sein raffinierter Stil und sein Hang zur Theatralik vielleicht am Ausgewogensten zur Geltung kommen. Ein Konzentrat seines ganzen schriftstellerischen Könnens, des literarischen Universum Mishimas insgesamt. Der internationale Erfolg lässt sich auch mit der besonderen Universalität des Stoffes begründen. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Romane tritt hier das japanische Kolorit hinter der beinahe archetypischen Handlung zurück. Der Einfluss des SEMANNS auf andere Künste erwies sich daher auch als besonders nachhaltig. So gibt es inzwischen eine US-Verfilmung (THE SAILOR WHO FELL FROM GRACE WITH THE SEA 1976) und sogar eine Oper (DAS VERRATENE MEER 1990) von Hans Werner Henze. Keinem anderen von Mishimas Werken war eine derart langanhaltende und bleibende Wirkung vergönnt.

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