- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Freitag, 26. März 2010

HOMBA - Unter dem Sturmgott

MISHIMA (25. November 1970) 
Dieser Roman ist meiner Meinung nach der Beste aus Mishimas Spätwerk. Es ist ein politisch absolut inkorrektes Buch, ein Blick in den Abgrund menschlichen Fanatismus.
Der Leser bekommt hier die Gelegenheit tief in das versponnene politische Ideal, den schwarzromantischen Idealismus des Autors einzutauchen. Er erhält zutritt zur Welt des japanischen Kaiserkultes, in die politischen Wirren des imperialen Japans der dreißiger Jahre, in den überhitzten Nationalismus, der direkt in die Selbstvernichtung des 2. Weltkrieges einmündet. Dies ist eine Welt, in der öffentliches Seppuku eine heroische Tat ist, ein idealisierter Akt größter Reinheit. Eine Faszination dessen Sog sich Mishima als bekennender Sadomasochist nicht zu entziehen vermochte, bis er ganz und gar von dieser Vorstellung verschlungen wurde.

UNTER DEM STURMGOTT (Homba) ist der zweite Band der Tetralogie DAS MEER DER FRUCHTBARKEIT (Hōjō no Umi). Der ebenfalls gelungene erste Band SCHNEE IM FRÜHLING (Haru no Yuki) ist aber nicht unbedingt für das Verständnis dieses Romans erforderlich. Die Klammer beider Bände liegt zunächst in der buddhistischen Vorstellung der Seelenwanderung. Richter Honda erkennt in Isao die Widergeburt seines alten Jugendfreundes Kiyoaki aus SCHNEE IM FRÜHLING. Doch dahinter findet sich noch eine andere simple Wahrheit.
Ich halte es für offensichtlich, dass die Romanfiguren Isao, Kiyoaki und Honda alles Facetten ein und derselben Person darstellen, nämlich von keinem geringeren als Mishima selbst. Honda, der phlegmatische Vernunftmensch, steht für Mishimas hässliches Selbstbild als Intelektueller. Kiyoaki, der träumerische sensible Geist, ist Mishima als junger weltfremder Künstler. Isao, der von Idealen beseelte jugendliche Eiferer, verkörpert Mishimas Vorstellung eines Menschen der Tat.

Die weiteren Bände DER TEMPEL DER MORGENDÄMMERUNG und TODESMAHLE EINES ENGELS der Tetralogie erreichen nicht mehr die Qualität der Vorgänger und verlieren sich in überambitionierten Arabesken. Mishima schien ausgebrannt und es blieb nur noch die Feder beiseite zu legen und das Schwert zu ergreifen.

Vorbild des in UNTER DEM STURMGOTT dargestellten geheimen Schülerbundes, waren die tatsächlich in den dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts in Japan wie Pilze aus dem Boden schießenden Kaiserbünde und Geheimlogen, die es sich alle zum Ziel gemacht hatten Japans Reinheit wider herzustellen, indem sie dem Kaiser zurück zur Macht verhalfen und ihn aus dem Würgegriff westlich orientierter Politiker und Großindustrieller befreiten. Diese Welle nationaler Erhitzung gipfelte in dem NI-NIROKU JIKEN Aufstand von ca. 1400 jungen Offizieren, die 1936 die Innenstadt Tokios besetzten, um einen Umsturz der Regierung zu erzwingen. Der Putschversuch konnte erst durch die direkte Intervention des Kaisers gestoppt werden. Für viele Anhänger des Kaiserkultes verlor der Tenno als Mensch mit diesem Verrat seine Vorbildfunktion. Seine göttliche Reinheit blieb davon in ihren Augen jedoch völlig unberührt.
Die bedingungslose Verehrung des Tennos galt für Japans Nationalisten weniger der Person, sondern dem Prinzip des Göttlichen, dem Kaiser als Symbol des shintoistischen Japans. Der Kaiser als Mensch ist ohne Belang. Als Mensch ist er schwach und fehlbar, aber als göttlicher Tenno ein Leuchtfeuer der Reinheit. Ein schizophren wirkender Zwiespalt wie er im Westen aber ähnlich in der katholischen Kirche zu finden ist. Die menschlichen Vertreter der Kirche sind fehlbar, aber die Kirche selbst, das Amt des Papstes, als göttliche Institutionen bleiben hiervon, trotz Kreuzzügen und Inquisition, unbefleckt. Die extreme Form des Kaiserkultes ist nach dem Ende des 2. Weltkrieges weitgehend aus Japan verschwunden. Mishima war einer der wenigen bedingungslosen Verfechter dieses fanatischen Kultes. Die selbst zerstörerische düstere Romantik, mit der Mishima seine Ideen vertrat, galt selbst den meisten Nationalisten des modernen Japans als abwegige weltfremde Verirrung.

Aus heutiger Sicht wirkt der kläglich gescheiterte Putschversuch Isaos wie eine Blaupause von Mishimas eigener, für das moderne Japan ebenso wie für den Westen irrsinnig wirkenden Tat vom 25. November 1970. Mit dem Wissen um den öffentlichen Selbstmord des Autors, erschließt sich erst die ganze bizarre Faszination dieses Romans. Außergewöhnlich ist, wie es Mishima schafft trotz seiner eigenen nationalistischen Überzeugungen, eine gewisse Distanz zu dem jugendlichen Wahn der Hauptperson Isao zu erhalten. Es wirkt beinahe so, als beobachte er sich selbst durch die Augen des Vernunftmenschen Honda, der sich in kühler Distanz dem Eifer der Jugend nähert und die Schwächen dieses kopflosen Wahns seziert. Und für diesen Selbstspott hasst sich Mishima abgründig. Dem Dilemma der vernunftgesteuerten Selbstrefflektion kann der intellektuelle Mishima (er, der eigentlich nur Verachtung für alle Intellektuellen hegte) nur durch die Tat entrinnen. Mit dem Schwert zerschlug Mishima die Fesseln der Logik und Vernunft und gab sich ganz dem Feuer des Handelns hin, die in seinen Augen reinste Form der Existenz, zu der der Mensch fähig ist. Ein innerlich zerrissener Autor, ein Jahrhunderttalent der Literatur, verglühte in den Irrgärten des eigenen Verstandes.

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