- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Sonntag, 17. Oktober 2010

Satokashi no dangan wa uchinukenai - A lollypop or a bullet


Ein Shojo-Manga? Von mir empfohlen? 
Was hat mich da bloß geritten?

Wie ein kitschiger Mädchen-Comic mich eines besseren belehrte…



Die dreizehnjährige Nagisa Yamada hat es nicht leicht in ihrem Leben. Ihre Mutter arbeitet ganztägig in einem Supermarkt und verdient trotzdem nicht genug, um ihre Familie durchzubringen. Zehn Jahre zuvor ertrank ihr Vater, ein Fischer, während eines Sturmes auf hoher See. Der ältere hochbegabte Bruder leidet an einer sozialen Phobie und hat sich als "Hikikomori" vollkommen in sein eigenes Reich zurückgezogen, hängt nur noch seinen Tagträumen nach. Nagisa aber hat sich vorgenommen aus diesem sozialen Käfig zu entkommen, möchte sobald es möglich ist als Berufssoldatin bei den japanischen Selbstverteidigungstreitkräften anwerben, um ihre Familie finanziell unterstützen zu können. Sie liebt "scharfe Munition", das was sie als reale handfeste Währung bezeichnet, Dinge von praktischem Wert. Umso genervter ist Nagisa, als sie eine neue Klassenkameradin bekommt, die ihr ungefragt auf die Pelle rückt. Mokuzu Umino, ein seltsames Mädchen aus Tokyo, dass sich vor der Klasse als Meerjungfrau vorstellt, die nur zu Besuch im Reich der Menschen sei. Mit ihren verträumten Lügengeschichten verkörpert sie das Gegenteil von dem was Nagisa so dringend verlangt, "scharfe Munition". Doch Mokuzu* verfolgt sie hartnäckig mit ihrem Geplapper, denn sie möchte unbedingt ihre beste Freundin werden, bevor sie ins Meer zurückkehren muss, ihrer, wie sie nachdrücklich beteuert, wahren Heimat. So führt sie etwa ihre körperlichen Behinderungen, einen Geh- und Hörfehler, auf ihre unvollständige Verwandlung in einen Menschen zurück. Nagisa sträubt sich anfänglich gegen dieses aufdringliche Mädchen, dem süßen Gift ihrer Fantasie. Mit welchem Recht bedrängt dieses scheinbar verwöhnte, aus reichem Elternhaus stammende Mädchen, dem es in ihrem Leben nie an etwas gemangelt hat, sie mit ihrem überzuckerten Geschwätz? 


Doch nach und nach kommen sich die beiden so unterschiedlichen Mädchen näher und sie werden, wider Erwarten, tatsächlich Freundinnen. Eine erste Begegnung mit dem allein erziehenden Vater, einem bekannten exzentrischem Sänger, und der plötzliche Tod von Mokuzus Hund, lassen in Nagisa düstere Vorahnungen wachsen. Ungewollt blickt sie hinter die süße Fassade von Mokuzus Worten und schaut in abgründige Finsternis. Nagisa muss erkennen, dass es jemanden gibt, dem es trotz materiellem Wohlstand, noch weitaus schlechter geht als ihr selbst. 


Dieser nach einem Roman von Kazuki Sakuraba adaptierte Comic ist ein eher ungewöhnlicher Vertreter eines so genannten Shojo-Manga (Mädchen-Manga), der in keine Kategorie so richtig passen mag. Die Handlung bedient sich einzelner Motive aus Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau und verarbeitet sie zu einem fantasievoll erzählten Drama, die Geschichte einer seltsamen Freundschaft, die Geschichte eines kurzen Sommers, die in grenzenloser Finsternis endet. Mich hat dieses Jugenddrama tief bewegt, eine Tatsache die ich eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Der klassische Shojo-Gothic-Zeichenstil schreckte mich zunächst ab, da er eine dieser typischen süßlichen Teenagerliebestragödien vermuten ließ, doch die dann erzählte Geschichte ist weit entfernt von allem Liebes-Kitsch und entwickelt einen nihilistischen Sog, dem zumindest ich mich nicht entziehen konnte. Iqura Sugimotos detaillierte Zeichnungen tun ein Übriges und lassen aus dem Umfeld des ländlich trägen Japans, eine elegisch morbide Spätsommeratmosphäre erwachsen. Natürlich wirkt die Psychologie etwas bemüht, sind die Charaktere stellenweise arg plakativ mit dem dicken Pinsel gezeichnet, aber was soll’s, die bittersüße Melodramatik umhüllte mich mit ihrem schwarzen Mantel und ich ließ mich in ihrem melancholischen Strom treiben. Ich kann diesen 2-Bändigen Shojo-Manga an alle Freunde des nihilistischen Comics weiterempfehlen, seien sie nun weiblich oder männlich.


* Ins Deutsche übertragen "Seetang" oder "im Meer ertrunken".

Titel: Satokashi no dangan wa uchinukenai
A lollypop or a bullet
Erscheinungsjahr: Japan 2007, Deutschland 2010
Verlag: Kadokawa Shoten
Deutsche Fassung: Ehapa Comic Collection - Egmont Manga 
Romanvorlage: Kazuki Sakuraba
Adaption & Zeichnungen: Iqura Sugimoto 
Länge: 2 Bände (ca. 480 Seiten)

2 Kommentare:

  1. Gestatte mir den kleinen Insider: Christopher Nolan's "Memento" zieht mich wesentlich mehr an. *grrr" ;)

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  2. Jeder wie er will! ;-)

    Aber sooo verzweifelt wäre ich an deiner Stelle nun doch nicht...

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