- Widmung der symphonischen Dichtung "Tapiola" -

Da dehnen sich des Westlands Wälder, uralt, geheimnisvoll in wilden Träumen, Waldgeister weben in dem Dunkel.

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Samstag, 27. März 2010

Letters from Iwo Jima (9/10)


Briefe aus dem Totenreich

In den letzten Jahren hat das Kino einige (Anti-)Kriegsfilme hervorgebracht, aber nur "The Thin Red Line" konnte mich wirklich überzeugen. Mit "Letters from Iwo Jima" hat dieses Meisterwerk endlich einen gleichwertigen Nachfolger bekommen. Und es musste erst ein altersweiser Exrevolvermann und Exbulle wie Clint Eastwood auftauchen, um solch einen Film möglich zu machen. Eastwoods Drama aus dem Pazifikkrieg spielt ebenso auf einer Insel wie Terrence Malicks Film, jedoch nicht in einem tropischen Paradies das in einem bizarren Kontrast zur Unmenschlichkeit des Krieges steht, sondern auf einem trostlosen vulkanischen Todesfelsen der den Schrecken der Schlacht noch düsterer erscheinen lässt als er ohnehin schon ist.

Frühjahr 1945, Iwo Jima (deutsch=Schwefelinsel), eine nur wenige Quadratkilometer große Vulkaninsel ca. 1000 km südlich von Tokio. Auf diesem kargen aber strategisch wichtig gelegenen Felsen erwarten japanische Truppen die Invasion überlegener US-amerikanischer Streitkräfte die hier einen Stützpunkt für ihre Bomberverbände einrichten wollen. Der neue Kommandant der Verteidiger lässt ein viele Kilometer langes Tunnelsystem ins Vulkangestein graben. Mit seiner neuartigen Strategie hofft er die unvermeidliche Niederlage zumindest ein paar Tage hinauszuzögern. Die japanischen Truppen haben den Befehl Iwo Jima bis zum letzten Mann zu verteidigen und dabei möglichst viele amerikanische Soldaten mit in den Tod zu nehmen. Der amerikanische Blutzoll soll derart hoch ausfallen, dass sie vor einer Invasion des japanischen Kernlandes zurückschrecken und ein ehrenhafter Friede auf Augenhöhe möglich wird. In der folgenden Abwehrschlacht verlieren über 21.000 der ca. 22.000 japanischen Verteidiger ihr Leben, 7.000 amerikanische Soldaten sterben, 19.000 weitere werden verwundet. Statt wie berechnet 4 Tage benötigen die US-Streitkräfte über einen Monat und 100.000 Soldaten bis die Insel vollständig unter ihrer Kontrolle steht.
Viele Jahre nach Kriegsende fand man in den Höhlen der Insel Briefe der gefallenen Soldaten. Einfache zutiefst menschliche Botschaften aus dem Totenreich. An diesem Punkt setzt der Film an.

Clint Eastwood gelingt ein unaufgeregter unspektakulärer Antikriegsfilm, der seine pazifistische Botschaft eher zwischen den Zeilen trägt. Eine einfache gradlinige Bildsprache voller stoischer Poesie, untermalt mit einer unaufdringlichen melancholischen Filmmusik. "Letters from Iwo Jima" ist damit weder ein patriotischer vor Pathos triefender "Private Ryan", noch ein in philosophischen Bildern schwelgender introspektiver "schmaler Grat".
Nur wenige Rückblenden brechen die chronologische Abfolge des Films auf und geben Einblicke in die Vorgeschichten wichtiger Charaktere. Die verblassten Farben der Bilder verstärken noch die drückende Stimmung der toten Vulkaninsel auf der diese grausame Schlacht tobt. Aus Gründen der Authentizität wurde der Film in japanischer Sprache gedreht und mit Untertiteln versehen. Die überzeugenden Schlachtenszenen sind routiniert abgedreht und bleiben aber insgesamt hinter dem Niveau solcher Materialschlachten wie "Saving Private Ryan" zurück.

Der Film konzentriert sich auf wenige Hauptakteure und verdichtet das Geschehen dadurch zwischenzeitlich fast zu einem Kammerspiel.
Der eigentliche Held des Films ist der junge verträumte Bäcker Saigo (ein Glücksgriff der Popsänger Kazunari Ninomiya). Er hat nur einen Wunsch, seine Frau und die ungeborene Tochter wieder zu sehen. Angesichts des wahnsinnigen Totentanzes der um ihn kreist, scheint dieser Wunsch jedoch geradezu lächerlich. Saigo wächst einem derart ans Herz, dass man als Zuschauer nichts sehnlichster hofft, als dass wenigstens er dieses Inferno überleben möge. Immer wieder gelingt es ihm das Unvermeidliche hinauszuzögern. Er entkommt den sich in die Luft sprengenden Kameraden, selbstmörderischen Sturmangriffen und unmenschlichen Vorgesetzten, nur um in die nächste Todesfalle zu stolpern. Und die ganze Zeit quält den Zuschauer die Gewissheit, dass eigentlich keiner der japanischen Soldaten eine reelle Chance hat in die Heimat lebend zurück zu kehren. Dem gegenüber steht die heroische Opferbereitschaft des Inselkommandanten Generalleutnant Tadamichi Kuribayashi (herausragend Ken Watanabe), der zwar die aussichtslose Lage begreift, aber dennoch alles tut um das Unausweichliche so lang wie möglich hinauszuzögern, und die Heimat dadurch ein paar Tage länger vor amerikanischen Luftangriffen zu schützen. Dieser patriotische Fanatismus mit menschlichem Antlitz, wie ihn Kuribayashi verkörpert, die Lehren des japanischen Bushido, gehen unter. Im mörderischen Feuer der Schlacht zerfällt alles zu Asche. Übrig bleibt einzig der Wille zum Leben, die Verneinung des Jahrhunderte alten Todeskultes, verkörpert durch den Bäcker Saigo.

Die Vorbereitungen und die eigentlichen Schlacht, ein Zeitraum von etwa einem halben Jahr, erscheinen im Film auf wenige Tage konzentriert. Ein reales Gefühl für den zeitlichen Ablauf der Invasion will sich deshalb auch nicht einstellen. Durch die subjektive Sichtweise aus dem Blickwinkel des einzelnen Soldaten verliert der Zuschauer die Übersicht über das Gesamtgeschehen und er irrt gemeinsam mit den japanischen Verteidigern durch das Chaos aus Vulkangestein. Im Mittelpunkt des Filmes steht daher auch nicht der Ablauf der Schlacht, sondern die Art und Weise wie die Japaner angesichts der unausweichlichen Niederlage mit der emotionalen Ausnahmesituation und Verzweiflung umgehen. Die patriotischen Reden, der nihilistische Fanatismus der japanischen Soldaten erscheinen vor dem surrealen Hintergrund des Höhlensystems merkwürdig hohl und leer.
Nach und nach werden verschiedene Auswege durchexerziert. Vom Überlaufen über das Kämpfen bis zur letzten Patrone bis hin zum Selbstmord. Eins haben alle diese Möglichkeiten aber gemeinsam, sie enden alle mit dem Tod.

"Letters from Iwo Jima" steht in der Tradition des amerikanischen Antikriegsfilmes. Gerade in der schlichten unspektakulären Art seiner Inszenierung steckt seine große Stärke. Schonungslos demontiert er die Mythen des Krieges, vermenschlicht die Fratze des Feindes, zerstört das Leitbild des heroischen Soldatentums. Die für westliche Zuschauer ungewohnte japanische Perspektive, der Einblick in eine untergehende Kriegerkultur machen einen großen Teil der Faszination aus. Zum Schluss bleibt nur noch der Hinweis auf den als Ergänzung unverzichtbaren (aber qualitativ etwas abfallenden) Schwesterfilm "Flags of our Fathers".

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